»Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.«
Francis Picabia
Sophie Taeuber-Arps polychrome Holzköpfe zählen heute zu den ikonischen Werken der Dada-Bewegung. Sie entstanden zwischen 1918 und 1920 in Zürich. In dieser Stadt, die im Ersten Weltkrieg vielen europäischen Künstlern und Intellektuellen Zuflucht bot, ließ sich auch Taeuber-Arp 1914 nieder, nachdem sie diverse Bereiche des Kunsthandwerks wie Textildesign und Tischlerei in St. Gallen, München und Hamburg studiert hatte. Wie andere Dadaisten, stellte sie die traditionelle Hierarchie von der angewandten und der bildenden Kunst in Frage und setzte ganz im Sinne von Dada neue Techniken und Materialien ein. Daher überrascht es kaum, dass ihre Holzköpfe, die auf kleinen Sockeln montiert sind, teils als Hutständer dienten.
Insgesamt sind heute sechs dieser Köpfe bekannt. Anstatt auf die traditionellen bildhauerischen Techniken wie z. B. das Schnitzen zurückzugreifen, setzte Taeuber-Arp diese Skulpturen aus mechanisch vorgefertigten, gedrechselten Einzelteilen zusammen, die sie durch Kopfputz und Ohrringe, lange kantige Nasen sowie durch aufgemalte, geometrisierte Farbfelder und Aufschriften weiter stilisierte. Wie ihre Skizzen von abstrahierten Gesichtern und Figuren zeigen, fand sie ihre Anregungen in den frühchristlichen Darstellungen von Christus, Heiligen und Engeln ebenso wie in der sogenannten primitiven Kunst, die schon Kubisten und Expressionisten in ihrer Formgebung inspiriert hatte.
Einer der ersten Köpfe aus dem Jahr 1918 gehörte einst Hans Arp (1886–1966) und befindet sich heute im Centre Pompidou in Paris. In seiner weitestgehend abstrahierten Form erinnert dieser »Tête dada« noch stark an Taeuber-Arps »Dada-Pokale« (fr. »Coupe Dada«), die sie wie ihre Wandteppiche als Ausdrucksform der Synthese von angewandter und bildender Kunst verstand. Ein solches ‚Skulpturengefäß‘ der Künstlerin stellt ein gedrechseltes, schwarzlackiertes Holzobjekt von 1916 dar. Wegen der Größe, der strengen Symmetrie und des Materials wirkt es wie ein Gebrauchsgegenstand, ohne jedoch eine unmittelbar erkennbare Funktion zu erfüllen. Eine noch größere Ähnlichkeit zu den Köpfen weist die »Puderdose« aus gedrechseltem, altrosafarben bemaltem Holz auf.
In ihrer totalen Ablehnung des Mimetischen und des Ornamentalen zugunsten der nüchternen Klarheit der Form gehören diese »Coupes Dada« zu den ersten abstrakten Skulpturen der Kunstgeschichte überhaupt. Der schwarze, birnenförmige Holzkopf ist im Vergleich dazu verspielter. Die Silhouette bleibt zwar sehr streng, besitzt aber eine lebhafte ‚Gesichtspartie‘, die in Farbfelder aufgeteilt und mit sechs bunten, gegenständisch anmutenden Augenmotiven asymmetrisch ausgemalt wird: eine Kombination aus geometrischer Ordnung und dekorativen Ornamentik, die Assoziationen an die Wiener Schule weckt.
Die Idee der Dada-Köpfe hing nicht nur mit den »Coupes Dada« aufs engste zusammen. 1918 erhielt Taeuber-Arp vom Direktor der Kunstgewerbeschule und des Kunstgewerbemuseums Zürich, Alfred Altherr (1875–1945), den Auftrag, Gliederpuppen [1] für das Schweizerische Marionettentheater in Zürich anzufertigen. Die Marionetten waren für die tragikomische Inszenierung des Stücks »König Hirsch« (1762) des venezianischen Theaterdichters Carlo Gozzi (1720–1806) vorgesehen, das vom Schweizer Dramatiker René Morax (1873–1963) in Anlehnung an die aktuellen psychoanalytischen Debatten neu gefasst und am 11. September 1918 uraufgeführt wurde. Die nach präzisen Zeichnungen der Künstlerin gedrechselten Holzeinzelteile stellen allesamt Elementarformen wie Kugeln, Zylinder oder Kegel dar. Diese wurden mittels Drahtösen zu Figuren verbunden, bemalt und verziert.
Als Taeuber-Arp dann im November des Jahres erstmalig an einer Kunstausstellung teilnahm und in der »Ersten Ausstellung« der Gruppierung »Das Neue Leben« in der Kunsthalle Basel fünf Werke zeigte, präsentierte sie dort drei als »Studie zu einer Marionette« betitelte Arbeiten.[2] Eine davon (Kat. 223) trug in Klammern den Untertitel »Porträt H. A.«. Die Initialen »H. A.«, so die MoMA-Kuratorin Anne Umland, lassen vermuten, dass es sich bei dieser »Studie« um den Dada-Kopf handeln müsse, der ein abstrahiertes Porträt von Hans Arp darstellt (1918).[3] Die Dada-Köpfe wären damit, so die Forscherin weiter, erstmalig 1918 in der Baseler Ausstellung öffentlich präsentiert und zunächst als Marionetten-Studien beschrieben worden.
Bei der Abstraktion des Porträts von Hans Arp folgte Taeuber-Arp in der Tat den gleichen Prinzipien, die sie bei der Gestaltung der Marionetten einsetzte. Klar erkennbar sind dennoch das von Fotografien des Künstlers bekannte lange Gesicht, die gefurchte Stirn, die lange Nase und die zu Stirn hin als Dreieck ausrasierten Haare. Mit ihren symmetrisch aufeinander zulaufenden Halbkreisen und Bögen wirkt diese Darstellung finster und verspielt zugleich. Daher klingt die Interpretation von Hugo Weber (1918–1971) im 1948 erschienenen »catalogue de l’œuvre de Sophie Taeuber-Arp« einleuchtend, dass die Holzköpfe dadaistische Parodien der klassischen Porträtköpfe seien.[4]
Etwa zeitgleich zum Porträt von Hans Arp entstanden zwei weitere Holzköpfe, die heute nur anhand von Fotografien bekannt sind. Beide haben durch die witzigen Kopfbedeckungen – ein antennenartiger Hut bei einem und ein Ast bei dem anderen – eine noch stärkere Gemeinsamkeit zu den Marionetten, die fast alle mit kuriosem Kopfschmuck verziert sind. Indem Taeuber-Arp hierfür teilweise Glasperlen verwendete, trieb sie zudem die für ihr Schaffen so typische Verschmelzung zwischen angewandter und bildender Kunst noch weiter voran, denn in der Zeit war sie vielmehr für ihre textilen Designgegenstände wie die Glasperlentaschen bekannt.[5]
Die mit dem Hut ausgestattete Skulptur wurde als eine Marionetten-Studie betitelt und im erweiterten Katalog der Ausstellung »Das Neue Leben« reproduziert, die Anfang 1919 in zweiter Ausstellungsstation im Kunsthaus Zürich zu sehen war.[6] Darüber ob die andere Skulptur ebenfalls in Basel und Zürich als Marionetten-Studie vorgestellt wurde, lässt sich nur mutmaßen. Jedenfalls erachtete die Künstlerin sie als repräsentabel. Ende 1921 schickte sie ein Fotoabzug dieser Arbeit unter dem scherzhaften Titel »Monsieur Perlengeweih [bekannter Hôteldieb]« dem Schriftsteller Tristan Tzara (1896–1963) zu, seinem Aufruf folgend, die Bilder ihrer Kunstwerke für seine Dada-Anthologie »Dadaglobe« zukommen zu lassen.[7]
Auf der zweiten Fotografie, die Taeuber-Arp Tzara zusandte, ist sie selbst hinter einem Dada-Kopf aus dem Jahr 1920 abgebildet, der bis 2003 im Besitz der Familie Arp verblieb und heute im Centre Pompidou aufbewahrt wird (Abb.).[8] Im Unterschied zu den sogenannten Marionettenvorstudien ist dieses Modell nicht nur größer, es ist auch mit drei Inschriften versehen, die wie ein kurzes und prägnantes Manifest der Künstlerin wirken: Auf der linken Stirnhälfte steht das Datum »1920« sowie die Aufschrift »DADA«, auf dem kreisförmigen Sockel – drei Buchstaben »sht« für »Sophie Henriette Taeuber«. Das reale Gesicht – durch den Hut und den bestickten Netzschleier bereits verfremdet – rückt zur Hälfte hinter den abstrakten Kopf, sodass das Kunstwerk im Vordergrund steht.[9] Taeuber-Arps wachsamer Blick, der dem Betrachter gilt, verdeutlicht jedoch unmissverständlich ihre absolute geistige Präsenz.
Das inszenierte Foto ist das Selbstbildnis der Künstlerin schlechthin. Es vereint das Reale und das Abstrakte, das Handwerkliche und das Künstlerische, das Spielerische und das Geistige. Es ist ein Gesamtkunstwerk aus Skulptur, Malerei, Handwerk, Performance und Fotografie. Indem Taeuber-Arp diesen Holzkopf in ihr fotografisches Porträt integrierte, wird sie ihn als ein abstraktes Abbild ihrer selbst gesehen haben. Dass sie dem Werk eine besondere Bedeutung beimaß, ist offensichtlich: Die dritte und letzte Fotografie, die an Tzara ging, zeigt ein mit »sht« signiertes Gemälde, das diese Skulptur zweidimensional, aufgelöst in abstrakten Farbfeldern wiedergibt (1920, Centre Pompidou). Taeuber-Arps handschriftlicher, ironisch klingender Vermerk auf der Rückseite lautet: »S H Taeuber/Zürich/Gemälde aus Fresco aus dem Züricher Dada Pantheon«.
1920 erschuf Taeuber-Arp einen weiteren weiblich anmutenden Holzkopf, der ebenfalls ihr Selbstporträt darstellen könnte (MoMA).[10] Es bildet nämlich ein Pendant zum Porträt von Hans Arp: Beide Modelle haben eine Eiform, eine lange kantige Nase, einen schmalen zylindrischen Hals, einen spulenähnlichen Sockel und sind fast gleich hoch.[11] Im Gegensatz zum Arp-Porträt wird dieses Modell mit zwei Zöpfen bzw. Ohrringen aus schwarzen Glasperlen geschmückt, die Taeuber-Arp am Friedhof von Tessin gefunden hatte.[12] Seine Oberfläche wird in gradlinige, asymmetrisch bemalte Farbfelder vertikal-horizontal aufgeteilt, sodass die obere Schnittlinie die Augenpartie markiert. Dabei nimmt das einzige Auge auf der linken Gesichtshälfte die Form eines zentrischen Halbkreises an: Ob die Künstlerin selbst hier den Betrachtern zuzwinkert?
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[1] Die in einer jeder Marionette verbildlichte Vorstellung von einem Menschen als einem geistlosen, mechanisch zusammengesetzten und manipulierbaren Geschöpf beschäftigte in der Zeit viele von Taeuber-Arps Künstlerkollegen. Als prominente Beispiele hierfür können neben Raoul Hausmanns (1886–1971) »Mechanischem Kopf« (1919) die sogenannten »Manichini« – geistlose hölzerne Gliederpuppen – genannt werden, die von den Vertretern der Pittura Metafisica wie Carlo Carrà (1881–1966) und Giorgio de Chirico (1988–1978) immer wieder dargestellt wurden.
[2]Das Neue Leben: Erste Ausstellung, Ausst. Kat. Kunsthalle Basel, November 1918, S. 14, Kat. 220–224, hier Kat. 222–224.
[3] Vgl. Anne Umland, Sophie Taeuber-Arp. Head, New York 2019, S. 20–24, hier S. 20.
[4] Hugo Weber, Commentaire du catalogue de l’oeuvre de Sophie Taeuber-Arp, in: Georg Schmidt, Sophie Taeuber-Arp, Basel 1948, S. 125.
[5] Vgl. Umland 2019, S. 8.
[6] Taeuber-Arp reichte diesmal zehn Werke ein: eine Halskette, drei Perlentaschen, drei Marionetten zu »König Hirsch« sowie drei Marionetten-Studien. Siehe: Das Neue Leben. Erste Ausstellung, Ausst. Kat. Kunsthaus Zürich, 12.1.–5.2.1919, S. 10, Kat. 163–172. Zu den Reproduktionen des Holzkopfs: Otto Flake/Walter Serner/Tristan Tzara (Hg.), Der Zeltweg, November 1919, o. S.; Kurt Schwitters (Hg.), Merz, Oktober 1923, Nr. 6, S. 63; Umland 2019, S. 22, 23, 25, Abb. 19–24, Anm. 27.
[7] Lee Ann Daffner/Karl Buchberg, Illustrierte Werkliste, in: Adrian Sudhalter (Hg.), Dadaglobe Reconstructed, Ausst. Kat. Kunsthaus Zürich 5.2.–1.5.2016 und New York, MoMA 12.6.–18.9.2016, Zürich 2016, S. 97–143, hier S.130; Tristan Tzara, Dadaglobe [geplantes Publikationsjahr 1921], in: Ebd., S. 1–160, hier S. 18, 80, 153.
[8] Insgesamt sind drei Fotoabzüge von Taeuber-Arp mit diesem Dada-Kopf bekannt. Alle wurden von Nic Aluf (1884–1954) 1920 angefertigt und zeigen das Gesicht stets zur Hälfte verdeckt, wobei die Künstlerin in den beiden anderen Bildern ohne den Hut und den Netzschleier zu sehen ist.
[9] Vgl. Umland 2019, S. 32.
[10] Vgl. Umland 2019, S. 35.
[11] Vgl. Gabriele Mahn, Sophie Taeuber – eine Figur im Raum, in: Sophie Taeuber-Arp zum 100. Geburtstag, Ausst. Kat. Aarau, Aargauer Kunsthaus 9.4.–15.5.1989 u.a., Genf 1989, S. 87–103, hier S. 96; Umland 2019, S. 24, 35.
[12] Roswitha Mair, Handwerk und Avantgarde. Das Leben der Künstlerin Sophie Taeuber-Arp, Berlin 2013, S. 104.