Zwischen 1939 und 1941 wird die freie Linie bestimmendes Kompositionselement in den Arbeiten von Sophie Taeuber-Arp. Über 100 Linienbilder – meist in Bleistift oder Farbstift auf Papier, selten auch in Wasserfarben, Farbkreiden oder Öl ausgeführt – bilden einen ungewöhnlichen Kontrast in dem von geometrischen Formen dominierten Œuvre der Künstlerin.
Auf feinen Linien basierte Bleistift- oder Farbstiftzeichnungen finden sich vor allem im Kontext von Entwurfszeichnungen: Studien zu Marionetten, Reliefs und Skulpturen meist aus oder in Skizzenbüchern, Entwürfe zu (innen)architektonischen Projekten, später auch Stadt- und Landschaftsansichten. Formal scheint die umfangreiche Bilderfolge der Linienkompositionen jedoch an die filigranen Konturzeichnungen stilisierter Muscheln, Schirme oder Blätter anzuknüpfen, die Sophie Taeuber-Arp zur Illustration von Hans Arps Gedichtband »Muscheln und Schirme« (1939) entwickelte. Die zuvor geschlossenen Umrisslinien öffnen sich zu freien Linien und gehen in verknoteten Schleifengebilden oder miteinander verwobenen Geflechten auf. Gerade und geschwungene, schwarze oder farbige Linien schweben vor einem neutralen, bisweilen auch unruhigen Grund und werden in immer neuen Variationen kombiniert. Bereits 1922 regte Taeuber-Arp in ihrer kurzen Abhandlung zum Unterricht im Entwerfen dazu an, mit Linien zu experimentieren: »Versuchen Sie, was für Ausdrücke man mit verschiedenen Wellen- oder Zackenlinien erzielt. Versuchen Sie, diese Linien auf komplizierte Weise zu verschlingen.« (Sophie Taeuber-Arp, Bemerkungen über den Unterricht im ornamentalen Entwerfen, in: Korrespondenzblatt des Schweiz. Vereins der Gewerbe- und Hauswirtschaftslehrerinnen, Zürich, 14. Jg., Nr. 11/12, S. 158).
Im vorliegenden Beispiel setzte die Künstlerin vereinzelt gerade Linien in ein Geflecht von langen, geschwungenen Linien und füllte einige der aus den Überschneidungen resultierenden Zwischenräume in kräftigen Farben aus. Die Farbflächen bilden spannungsreiche Akzente zu den fließenden Bewegungen. Eine ihrer Zeichnungen beschrieb Taeuber-Arp selbst als »eine Mischung aus freier Zeichnung und Konstruktion« (vgl. Brief von Sophie Taeuber-Arp an Max Bill vom 20. September 1941, Sammlung Angela Thomas Schmid, Zumikon, zit. in Hauptman 2021, S. 268).
Auch wenn die einzelnen schwungvollen Linien und Formenkonturen auf den ersten Blick spontan entwickelt und freihändig gezeichnet wirken, sind sie doch präzise vordefiniert: Unter einigen Farbstiftzeichnungen etwa lassen sich feine Bleistiftvorzeichnungen ausmachen, die Einblick in den Arbeitsprozess der Künstlerin geben. Einzelne Linienstränge zeichnete Sophie Taeuber-Arp vor und füllte sie anschließend farbig aus. Druckspuren, nahezu identische oder spiegelverkehrte Arbeiten sowie erhaltene Vorzeichnungen auf Transparentpapier lassen zudem auf ein schablonenartiges Arbeiten und die Wiederverwendung von bereits entwickelten Elementen schließen. Die Künstlerin spielte mit den zahllosen Möglichkeiten von Anordnungen und Erweiterungen der Linien.
Im Gegensatz zu vielen anderen Werken signierte und datierte Taeuber-Arp die meisten ihrer Linienkompositionen oder versah sie mit ihrem jeweiligen Entstehungsort in Südfrankreich – Nérac, Veyrier oder Grasse: Im Juli 1940, wenige Tage vor der deutschen Besetzung von Paris, verließen Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp ihr Haus in Clamart. In Südfrankreich fanden sie in verschiedenen Übergangsunterkünften Zuflucht.
In der Forschung werden die »unruhigen« Linienkompositionen und die dafür verwendeten Materialen – Bleistift, Farbstift, Papier – immer wieder auf die Umstände der Kriegszeit zurückgeführt (vgl. Hauptman 2021, S. 266 und Wilker 2021, S. 301). Häufig werden die rhythmisch-geschwungenen Arbeiten auch in Zusammenhang mit Taeuber-Arps Tanzerfahrung bei Rudolf von Laban (1978–1958) gebracht, da sie an Choreografiezeichnungen erinnern. Gelegentlich werden die Linien auch mit Wollfäden ihrer Textilarbeiten assoziiert.
[Anna Schrader]
Passion de lignes, croix bleue
Passion de lignes
Lignes dʼété
Zwischen 1939 und 1941 wird die freie Linie bestimmendes Kompositionselement in den Arbeiten von Sophie Taeuber-Arp. Über 100 Linienbilder – meist in Bleistift oder Farbstift auf Papier, selten auch in Wasserfarben, Farbkreiden oder Öl ausgeführt – bilden einen ungewöhnlichen Kontrast in dem von geometrischen Formen dominierten Œuvre der Künstlerin.
Auf feinen Linien basierte Bleistift- oder Farbstiftzeichnungen finden sich vor allem im Kontext von Entwurfszeichnungen: Studien zu Marionetten, Reliefs und Skulpturen meist aus oder in Skizzenbüchern, Entwürfe zu (innen)architektonischen Projekten, später auch Stadt- und Landschaftsansichten. Formal scheint die umfangreiche Bilderfolge der Linienkompositionen jedoch an die filigranen Konturzeichnungen stilisierter Muscheln, Schirme oder Blätter anzuknüpfen, die Sophie Taeuber-Arp zur Illustration von Hans Arps Gedichtband »Muscheln und Schirme« (1939) entwickelte. Die zuvor geschlossenen Umrisslinien öffnen sich zu freien Linien und gehen in verknoteten Schleifengebilden oder miteinander verwobenen Geflechten auf. Gerade und geschwungene, schwarze oder farbige Linien schweben vor einem neutralen, bisweilen auch unruhigen, grau-weiß verwischten Grund und werden in immer neuen Variationen kombiniert. Bereits 1922 regte Taeuber-Arp in ihrer kurzen Abhandlung zum Unterricht im Entwerfen dazu an, mit Linien zu experimentieren: »Versuchen Sie, was für Ausdrücke man mit verschiedenen Wellen- oder Zackenlinien erzielt. Versuchen Sie, diese Linien auf komplizierte Weise zu verschlingen.« (Sophie Taeuber-Arp, Bemerkungen über den Unterricht im ornamentalen Entwerfen, in: Korrespondenzblatt des Schweiz. Vereins der Gewerbe- und Hauswirtschaftslehrerinnen, Zürich, 14. Jg., Nr. 11/12, S. 158).
Im vorliegenden Beispiel kombinierte die Künstlerin kurze, geschwungene Linien mit Dreiecken.
Auch wenn die einzelnen schwungvollen Linien und Formenkonturen auf den ersten Blick spontan entwickelt und freihändig gezeichnet wirken, sind sie doch präzise vordefiniert: Unter einigen Farbstiftzeichnungen etwa lassen sich feine Bleistiftvorzeichnungen ausmachen, die Einblick in den Arbeitsprozess der Künstlerin geben. Einzelne Linienstränge zeichnete Sophie Taeuber-Arp vor und füllte sie anschließend farbig aus. Druckspuren, nahezu identische oder spiegelverkehrte Arbeiten sowie erhaltene Vorzeichnungen auf Transparentpapier lassen zudem auf ein schablonenartiges Arbeiten und die Wiederverwendung von bereits entwickelten Elementen schließen. Die Künstlerin spielte mit den zahllosen Möglichkeiten von Anordnungen und Erweiterungen der Linien.
In der Forschung werden die »unruhigen« Linienkompositionen und die dafür verwendeten Materialen – Bleistift, Farbstift, Papier – immer wieder auf die Umstände der Kriegszeit zurückgeführt (vgl. Hauptman 2021, S. 266 und Wilker 2021, S. 301). Häufig werden die rhythmisch-geschwungenen Arbeiten auch in Zusammenhang mit Taeuber-Arps Tanzerfahrung bei Rudolf von Laban (1978–1958) gebracht, da sie an Choreografiezeichnungen erinnern. Gelegentlich werden die Linien auch mit Wollfäden ihrer Textilarbeiten assoziiert.
[Anna Schrader]
Passion de lignes, croix bleue
[Projet pour marionette: le Roi Cerf]
[Projet pour marionette: Soldat]
[Ohne Titel (Kostümentwurf »Die Infantilen«)]
Collage (Duo-Collage)
1915 lernt Sophie Taeuber den Dichter und Maler Hans Arp in Zürich kennen. 1922 heiratet das Paar. Eine Reihe von gemeinsam geschaffenen Arbeiten, die heute als »Duo-Arbeiten« bezeichnet werden, zeugt von wechselseitiger Inspiration, künstlerischem Austausch und enger Zusammenarbeit.
Zu einer Einheit verschmolzen, lässt sich die jeweilige künstlerische Einzelleistung an diesen »vierhändig« gestalteten Werken kaum mehr zurückverfolgen. Viele Fragen bleiben offen: Waren beide Künstler sowohl an der Formfindung als auch an der praktischen Ausführung beteiligt? Trafen Arp und Taeuber-Arp gemeinsame Entscheidungen im kreativen Schaffensprozess? Haben sie sich während der künstlerischen Produktion abgewechselt?
Bekannt ist, dass Sophie Taeuber-Arp textile Arbeiten und Konstruktionszeichnungen für Hans Arp anfertigte. Einige der ausgeführten Projekte sind allerdings lediglich Arp zugeschrieben. Bei wiederum anderen Werken, die als Duo-Arbeiten gelten, ist die doppelte Autorschaft umstritten. So ist die genaue Zuschreibung einzelner Werke bis heute unklar.
Erste gemeinschaftliche Arbeiten des Künstlerpaars entstehen in der Zürcher Zeit nach 1915, darunter Collagen, textile Werke und plastische Arbeiten. In den 1930er-Jahren folgen verschiedene Holzskulpturen und Zeichnungen.
Das vorliegende Gemeinschaftswerk ist ein Beispiel aus der Reihe der sogenannten »Duo-Collagen«, die das Künstlerpaar um 1918 entwickelte.
Formal sind diese Arbeiten durch ein streng vertikal-horizontales Raster gekennzeichnet: Verschiedenfarbige, rechteckige Papiere sind zu einer geometrischen Collage zusammengesetzt. Dabei wird die Anordnung von sechs mal fünf Feldern im Rechteck für alle Duo-Collagen als festgelegtes Prinzip übernommen. Die Originalität dieser Bildfindung beruht nicht zuletzt auf der geometrischen Präzision, die hier im Medium der Collage Anwendung findet. Nach Ausführungen Hans Arps nutzte das Paar einen Papierschneider für die einzelnen, gleichgroßen Papierrechtecke, um jegliche Spur einer individuellen künstlerischen Handschrift zu vermeiden.
Die genaue Anzahl dieser Papiercollagen ist nicht bekannt. Im »Catalogue de l’œuvre de Sophie Taeuber-Arp« von 1948 finden sich unter »Œuvres exécutées en communauté« vier Collagen, die in Zürich entstanden sind (vgl. Schmidt/Weber 1948, S. 148). Nach derzeitigem Kenntnisstand existieren fünf dieser Duo-Arbeiten. Zwei Collagen befinden sich heute im Museum Insel Hombroich, eine weitere ist im Besitz der Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz, Nationalgalerie Berlin. Für zwei weitere Werke konnte der Verbleib bisher nicht zuverlässig dokumentiert werden. [Anna Schrader]
[Ohne Titel (Kostümentwurf »Budenleute«)]
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