Gabriele Mahn
Sophie Henriette Gertrud Taeuber-Arp
(Davos 1889 – Zürich 1943)
Sophie Taeuber-Arp gehört zu den Pionieren der abstrakten geometrischen Kunst des 20. Jahrhunderts. Als Deutsche, Schweizerin und Französin prägte sie die europäische Kunstgeschichte und wurde von Kunsthistorikern wie Willy Rotzler (1917–1994) als »Schlüsselfigur und vielleicht eigentliche Initiantin« (1) der Schweizer Konkreten Kunst gewürdigt. Sie wuchs in der Schweiz auf, studierte dort sowie in Deutschland. Durch ihr Lehramt in Zürich fuhr sie auch später noch immer wieder aus Frankreich in die Schweiz zurück. Sie wirkte an den Künstlerbewegungen »Dada«, »Das Neue Leben«, »Cercle et Carré«, »Abstraction-Création« und »Allianz« mit. Sie gilt als eine der innovativsten Künstlerinnen ihrer Zeit.
In Pariser Kunstkreisen der 1930er-Jahre bezeichnete sie sich selbst als »artiste peintre«, obwohl gerade die Beschäftigung mit den unterschiedlichsten Materialien und Techniken das besondere Kennzeichen ihrer Arbeit ist. Ihr umfassendes Werk hat seine Basis in dem grundlegenden Prinzip der Textilkunst, der Kreuzung von Kette und Schuss in der Weberei, das sie in der Komposition zum Vertikal-Horizontal-Raster führt.
Ihre gestalterischen Ausdrucksmittel sind vielseitig und umfassen so verschiedene Techniken wie Farbstiftzeichnungen, Collagen, Textilprojekte, Konstruktionszeichnungen, Gouache- und Aquarellzeichnungen, Ölmalerei, Wandmalerei, Holzskulptur, bemalte Holzreliefs, Architektur, Innenausstattung und Design. Mit der Choreografie, dem Tanz und dem Marionettentheater eröffnen sich ihre lebendigen Beziehungen zum Zuschauer. Zuletzt war sie Redakteurin der internationalen Kunstzeitschrift »Plastique-Plastic«.
Am 19. Januar 1889 wurde Sophie Taeuber in Davos geboren und wuchs nach dem Tod des Vaters in der Nähe von St. Gallen auf. Mit ihrer Mutter und drei Geschwistern verbrachte sie ihre Kindheit und Jugend in Trogen – von Natur und geschichtlich bedeutender Architektur umgeben. Durch ihren zur See fahrenden ältesten Bruder erhielt sie früh Einblick in andere Kulturen, wie z. B. in die der indigenen Völker Nordamerikas. Sie schmückte ihr Zimmer mit Porträtfotos von Häuptlingen und Originalobjekten indigener Kunst. Auch noch in ihrem späteren Werk ließ sie sich davon inspirieren.
Die Kreativität ihrer Mutter forderte sie zu frühen Arbeiten und zur Dekoration heraus. Fotos aus dieser Zeit dokumentieren Taeubers Interesse an der traditionellen Textilkunst, an Weberei, Stickerei, Spitzentechniken, Teppichknüpfen, Nähen. Sie selbst zeigt sich auf den Bildern in mit kunstvollen Stickereien geschmückter Kleidung.
Ihre ersten Ausbildungen waren im Textilbereich und von 1907 bis 1910 an der Schule des Industrie- und Gewerbemuseums von St. Gallen. Es folgten Aufenthalte ab 1910 in fortschrittlichen Ateliers, der sogenannten »Debschitz-Schule« (2) in München und ein Jahr an der Kunstgewerbe-Schule in Hamburg. Neben der Kenntnis der Kunstgeschichte kommt ihr später auch die vielseitige praktische Ausbildung zugute, die sie in Fächern wie Weberei, Klöppelei, kunstgewerbliches Entwerfen, Ornamentik, Holzbearbeitung, Drechseln, Darstellungstechnik, Konstruktions- und Projektionszeichnen erhielt. Im Sommer 1914 bekam sie ihr Diplom in München, das sie zum Unterrichten qualifizierte. Sie kehrte in die Schweiz zurück, zu ihrer Schwester (3) nach Zürich.
Von 1916 bis 1929 war sie Leiterin für textiles Entwerfen an der Kunstgewerbeschule Zürich. Zu ihren Schülern zählten Elsi Giauque (1900–1989) (4) und Max Bill (1908–1994) (5). Sie unterrichtete Komposition, Sticken und Weben und später auch ornamentales Entwerfen. 1916 trat sie dem »Schweizerischen Werkbund« (6) bei.
Sie nahm an Kursen für modernen Ausdruckstanz von Rudolf von Laban (1879–1958) (7) und Mary Wigman (1886–1973) (8) in Zürich und Ascona (Tessin) teil. So beteiligte sie sich an den ersten Schritten zur Laban-Tanzschrift.
Sophie Taeuber arbeitete an Malereien, Porträts und Stillleben sowie an Textilarbeiten und Kunstobjekten. Letztere verkaufte sie in der Filiale der »Wiener Werkstätten« (9).
Ihre ersten abstrakten, geometrischen Farbstiftzeichnungen, »Compositions verticales-horizontales«, wurden 1915, 1916 und 1917 datiert. Nach Michel Seuphor (1901–1999) (10) sind diese im geometrischen Raster konstruierten Werke in ihrer Bedeutung für die Kunstgeschichte vergleichbar mit den abstrakt-geometrischen Bildern von Piet Mondrian (1872–1944) und Kasimir Malewitsch (1878–1935) gleichen Datums.
Im November 1915 begegnete sie dem Dichter und Maler Hans Arp (1886–1966), mit dem sie von Beginn an künstlerische Affinitäten teilte. Sie werden wiederholt zusammenarbeiten. Er begeisterte sich für ihre Zeichnungen und machte Sophie Taeuber auf deren Wichtigkeit aufmerksam. Sie nahm mit ihm an Dada teil und brachte auch ihre Freunde der Laban-Schule mit. So entstanden Beziehungen zwischen den Tänzerinnen und Dadaisten und der Tanz wurde Bestandteil von Dada. Sophie Taeuber beteiligte sich mit Ausdruckstänzen und abstrakten Choreografien an Dada-Abenden und tanzte ein Solo zur Eröffnung der Dada-Galerie 1917. Dieser Tanz wurde vom dadaistischen Dichter Hugo Ball (1886–1927) (11) beschrieben.
An der Kunstgewerbeschule stellte Sophie Taeuber neben persönlichen Textilarbeiten jetzt auch Skulpturen aus gedrechseltem Holz her. Zwischen 1916 und 1920 entstand eine Reihe von »Dosen« oder »Gefäßen« mit exzentrischen Formen, u. a. »Coupe Dada«, »Puderdose«, »Kelch« und »Amphore«. Letztere gilt als Duo-Arbeit.
1918 erhielt sie vom Direktor ihrer Schule den Auftrag, zur Eröffnung des Zürcher Marionettentheaters und anlässlich der Werkbund-Ausstellung, die Marionetten für eine moderne Interpretation des »König Hirsch« des italienischen Dramaturgen Carlo Gozzi (1720–1806) zu gestalten. Die Handlung war in die Gegenwart versetzt worden und integrierte die Thematik der Psychoanalyse und die Figur von Sigmund Freud. Die wohl siebzehn Marionetten, die Requisiten und die Bühnenbildskizzen zeugen von einer einmaligen, erfinderischen Kreation, die Taeuber mit einem Schlag berühmt machte, auch wenn das Stück nur wenige Male aufgeführt wurde. Arp ließ sich neben Taeuber und ihren Marionetten fotografieren, was seine Wertschätzung dieser Figuren bezeugt.
Daraufhin entstanden etwa acht Köpfe, ebenfalls aus gedrechseltem, farbig bemaltem Holz. Diese Köpfe, die heute als »Dada-Köpfe« bezeichnet werden, gehören zu Sophie Taeubers Schlüsselwerken. Das »Portrait Jean Arp« von 1918 bekam im folgenden Jahr eine Gefährtin, o. T., durch die geometrisch gemalten Formen ganz eindeutig ein Selbstporträt Sophie Taeubers. Zum Abschluss der Reihe entstand der »Dada Kopf«, 1920 (12), der heute wie ein Manifest der letzten Momente der Bewegung Dada-Zürich erscheint.
Taeubers großes ungegenständliches »Triptyque I, II, III« (13), mit dem Untertitel »Composition verticale-horizontale à triangles réciproques«, entstand ebenfalls 1918. Durch seine außergewöhnliche Größe und Farbskala religiöser Malerei, mit Wiederholungen von Dreiecken, wirkt es wie eine Beteuerung der spirituellen Seite von Dada.
Aus dieser kreativen Zeit stammen auch die großen »Duo-Collagen«, die in Zusammenarbeit mit Arp entstanden. Unumstritten sind diese zu Ikonen der geometrisch abstrakten Kunst des 20. Jahrhunderts geworden. Sie beruhen auf der Komposition von vertikalen, gleichgroßen Rechtecken, die nach einem, von Arp gefundenen Zufallssystem mit blassfarbigen Papieren beklebt sind.
Für eine der fünf »Duo-Collagen« hatte Arp die Urheberschaft für sich allein beansprucht. Die Künstlerfreunde waren beeindruckt, verstanden aber nicht, dass der geometrische Einfluss auf Arp von Sophie Taeuber herrührte, deren Schaffen schon vor ihrer Begegnung 1915 auf dem geometrischen Raster beruhte. Arp macht glauben, dass er die Geometrie als Grundelement für sich entdeckt hatte. Hier liegt u. a. der Ursprung der Verwirrung um die Autorenschaft beider Künstler. Ihre wiederholte spätere Zusammenarbeit, z. B. für die »Aubette«, im Bereich der Skulptur und Grafik, ist gekennzeichnet von interessanten, neuartigen Ergebnissen.
Taeuber stellte viel aus und zeigte u. a. auch einige der Köpfe. Zusammen mit anderen Dadaisten, wie Marcel Janco (1895–1984), beteiligten sich die Arps 1919 und 1920 an der Bewegung »Das Neue Leben«, deren Künstler beabsichtigten, die Kunst mehr in das tägliche Leben und in die Pädagogik zu integrieren. In der Zwischenzeit war Sophie Taeuber wegen eines Lungenleidens zu einem monatelangen Sanatoriumsaufenthalt in Arosa verpflichtet.
Arps reisten viel, oft mit Künstlerfreunden, in Italien, Spanien. 1922 heirateten Sophie Taeuber und Hans Arp in Pura, im Tessin.
Während Arp in Deutschland reiste, blieb Taeuber-Arp in Zürich, unterrichtete und veröffentlichte einen Artikel über ornamentales Entwerfen (14). Es entstanden zahlreiche farbige Gouachezeichnungen, in denen das Element der Bewegung auffällt. Die Bewegung des Tanzes, den sie seit Kurzem nicht mehr praktizierte, floss nun in ihre bildende Kunst. Dieses Bewegungselement ist bis zum Ende ihres Werks präsent.
1925 fuhr Taeuber-Arp als Jurymitglied nach Paris, zur Ausstellung »Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels Modernes« im Grand Palais, um die Schweiz zu vertreten, neben Johannes Itten (1888–1967). Sie stellte u. a. Wandteppiche aus und wurde preisgekrönt.
In Straßburg erhielten die Arps die französische Nationalität. Als wertvoll erwies sich der Kontakt zu den Brüdern Paul (1879–1960) und André Horn (1873–1948), die einen Teil des historischen Gebäudes »Aubette« im Stadtzentrum zu einem modernen vielseitigen Vergnügungskomplex umwandeln wollten.
Zunächst stattete Sophie Taeuber-Arp die Wohnung von Paul Horn mit einer Wandmalerei und Glasfenstern aus, dann den Eingangsbereich und das Restaurant im Hotel Hannong (15).
Daraufhin sollte sie die zahlreichen Säle der »Aubette« (16), inklusive Ausstattung, wie Beleuchtung und Mobiliar, verwirklichen.
Diesen riesigen Auftrag konnte sie nicht mit Arp allein bewältigen. Der niederländische Maler-Architekt Theo van Doesburg (1883–1931) (17) wurde miteinbezogen. Die Zusammenarbeit der drei Künstler führte zu Schwierigkeiten, denn Van Doesburg versuchte, das Projekt an sich zu ziehen, was ihm teilweise gelang. Jedoch war Sophie Taeuber-Arps Beitrag beachtlich (18). Sie gestaltete den Teesalon »Five o’clock« und die kleine »Aubette Bar« im Parterre, einen Billardraum im Obergeschoss und ein großes Foyer. Die Treppe, das Glasfenster und der Zugang entstanden in Zusammenarbeit mit Arp und Van Doesburg. Draußen in der Passage realisierte Taeuber-Arp einen Fliesenbelag mit einem geometrischen Dekor, das an die Laban-Tanzschrift erinnert.
Anlässlich einer Behandlung beim Straßburger Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Heimendinger erhielt Sophie Taeuber-Arp einen weiteren Auftrag für eine Wandmalerei im Eingangsbereich und Treppenhaus dessen Villa. Das sich rhythmisch wiederholende, variierte Motiv hatte sie von stilisierten Tanzfiguren mit angewinkelten Armen abgeleitet und zu einem geometrischen, abstrakten Dekor entwickelt, das sich in Gouachezeichnungen von 1927/28 wiederfinden lässt (19).
Die monumentale Raumgestaltung prägte ihr darauffolgendes Werk, es entstanden zahlreiche Projekte, die Innenarchitektur, Designaufgaben, großformatige Malereien, Skulpturen und Reliefs umfassten. So gestaltete sie die Wohnung mit teils eingebauten Möbeln für das befreundete deutsche Künstlerpaar Theodor (1886–1969) und Woty Werner (1903–1971) in Paris. 1927 hatte sie mit einer Kollegin ein Handbuch über Textiles Entwerfen (20) bei der Stadt Zürich veröffentlicht.
In ihrem neuerbauten Atelierhaus in Meudon Val Fleury, das nach Taeuber-Arps Plänen gebaut worden war, hatte jeder der Arps sein eigenes Atelier, Taeuber-Arp arbeitete im 1. Stock, Hans Arp unter ihr. Da keine Türen die Kommunikation aufhielten, konnten sich Ideen frei entfalten und ausgetauscht werden. Ende der 1920er-Jahre entstanden Holzskulpturen in Zusammenarbeit. Sophie Taeuber-Arp fertigte Konstruktionszeichnungen, die von Handwerkern ausgeführt wurden. Es entstanden Drechselarbeiten, teils in Naturholz belassen oder teils grau oder weiß angestrichen, wie »Ein Großer, zwei Kleine«, 1931 (21). Nicht alle von Taeuber-Arp gezeichneten Projekte sind ausgeführt worden, aber 1932 wurden mehr als zehn Skulpturen unter Arps Namen im Kunstmuseum Basel ausgestellt (22). Bei diesen Holzskulpturen ist die genaue Autorenschaft unklar.
Das Atelierhaus in Meudon und sein Garten wurden zum Treffpunkt der Avantgarde. Es kamen viele Besucher, auch aus dem Ausland, so Kurt Schwitters (1887–1948), Hans Richter (1888–1956), Alexander Calder (1898–1976); dann u. a. die Van Doesburgs (Nelly van D. 1899–1975), die Delaunays (Robert D. 1885–1941 und Sonia D. 1885–1979), die Kandinskys (Wassily K. 1866–1944 und Nina K. 1899–1980), Piet Mondrian (1872–1944), Florence Henri (1893–1982) u. a. Auf Fotos erkennt man Max Ernst (1891–1976), Meret Oppenheim (1913–1985). Die enge Freundin Gabrielle Buffet-Picabia (1881–1985) kam oft, sie schrieb Texte über die Kunst ihrer Freundin. Bei einem Atelierbesuch entdeckte Michel Seuphor im 1. Stock das Werk Sophie Taeuber-Arps, das ihn stark beeindruckte. Er forderte sie auf, an der von ihm organisierten Ausstellung »Cercle et Carré« teilzunehmen. Sie war damit in das Pariser Kunstmilieu der Abstraktion aufgenommen. Von 1931 bis 1934 nahm sie an der Organisation von »Abstraction-Création« teil. Sie stellte dort aus, gestaltete Kataloge und Einladungskarten. Der Verlag brachte 1934 das Buch »Cinq Artistes Suisses« heraus, in dem Anatole Jakovski (1907–1983) einen wichtigen Text über Taeuber-Arp veröffentlichte und sie das Layout gestaltete. Sie beteiligte sich an der Bilderkollekte polnischer Künstler für die erste Sammlung zeitgenössischer konkreter Kunst im Museum Sztuki in Łódź und fuhr ohne Arp zur Eröffnung; sie ist dort mit einigen Werken vertreten. Sie befreundete sich mit Katarzyna Kobro (1898–1951), Władysław Strzemiński (1893–1952) und Henryk Stazewski (1894–1988).
Taeuber-Arp nahm an vielen Ausstellungen teil, nicht nur in Europa.
In ihrer Malerei benutzte sie eine elementare Formensprache, Quadrate, Rechtecke, Stäbe oder Balken, die zur Aufteilung der Bildfläche dienten. Im Laufe der 1930er-Jahre kam der Kreis hinzu. Sie stellte in epochemachenden Ausstellungen in Frankreich, in der Schweiz, in Japan und Amerika aus. Das Ölbild »Cercles mouvementés «, 1934 wurde im Kunstmuseum Basel 1937 in der Ausstellung »Konstruktivisten« ausgestellt und direkt von Marguerite Hagenbach (später Hagenbach-Arp) (1902–1994) erworben; es war das erste Bild ihrer wichtigen Sammlung, neben u. a. einem Georges Vantongerloo (1886–1965). Beide Frauen hatten eine große Sympathie füreinander und wurden Freundinnen. Marguerite Hagenbach bewunderte die Künstlerin.
In ihrem Spätwerk kam Taeuber-Arp zum Holzrelief, das einen Höhepunkt ihres Werks ausmacht. 1936 bis 1938 schuf sie eine Serie von Rundreliefs, aus drei bis vier Holzflächen übereinandergeschichtet, weiß oder farbig bemalt.
Rechteckige Holzreliefs, z. T. mit Ausschnitten, die die Wand als hinzukommende Fläche einbeziehen, stehen im Wechselspiel mit dem Raum. Von der vertikal an der Wand hängenden Grundfläche springen Kegel in den Raum, dem Betrachter entgegen, so als suchte die Künstlerin einen Dialog mit ihm. Diese Reliefs sind meist stark farbig und erinnern an die teils gewagte Farbgebung der Dadazeit.
Durch die Arbeit mit dem Holz kam Taeuber-Arp wieder auf die Skulptur. 1937 machte sie einen Kopf, o. T., genannt »Sculpture en bois tourné«, aus gedrechseltem Holz, dessen Grundform kugelförmig ist, mit einem Zusatz auf der Spitze, wie ein Zipfel, aber symmetrisch zentriert. Der Sockel ist völlig integriert. Anstelle eines »Gesichts« sowie am Hinterkopf ist eine symmetrische Kerbe ausgehoben. Größer als die »Dada-Köpfe«, ist diese Skulptur durch ihre schmucklose, minimalistische Präsenz ein herausragendes Werk. Arp hatte es sehr geschätzt, denn nach dem Tod seiner Frau schenkte er es der Yale University Art Gallery und ließ für sich einen Bronzeguss anfertigen. Das Paar hatte damals zwei Duo-Plastiken geschaffen, die »Sculpture conjugale«, 1937 und »Jalon«, 1938. Letztere ist in drei Teile zerlegbar und in zwei subtil verschiedene Versionen wieder zusammensetzbar, ein erstaunliches Gestaltungsprinzip.
1937 schloss Taeuber-Arp sich »Allianz« an, eine schweizerische Künstlergruppe, von Max Bill und Leo Leuppi (1893–1972) gegründet. Sie wirkte auch an Seite von Richard-Paul Lohse (1902–1988) und bei Veröffentlichungen von Grafikmappen mit.
Von der dreisprachigen Zeitschrift »Plastique-Plastic« (23), die in Paris und New York mit Geldern von amerikanischen Künstlern herausgegeben wurde, sind von 1937 bis 1939 fünf Nummern erschienen. Die Zeitschrift bildete ein internationales Bindeglied zwischen den emigrierenden, in alle Winde zerstreuten Künstlern. Anfangs in Zusammenarbeit mit Cesar Domela (1900–1992) und Arp herausgegeben, war Taeuber-Arp schließlich alleinige Redakteurin, die diese künstlerische Plattform verbreitete. Sie plante weitere Ausgaben, u. a. mit Max Bill.
Auf der Flucht vor den Nazis hielten sich die Arps zuerst zusammen mit Gabrielle Buffet-Picabia in Nérac, dann bei Peggy Guggenheim (1898–1979) in Veyrier auf. Dort plante Taeuber-Arp mit Nelly van Doesburg ein Künstlerlexikon der Konkreten Kunst zu erarbeiten. Dank der Hilfe der Magnellis (Alberto M. 1888–1971 und Susi M. 19?–1994) fanden die Arps in Grasse eine vorläufige Bleibe, das »Château Folie«. Nach dem Tod von Robert Delaunay nahmen sie Sonia Delaunay zu sich. Es entstanden Gemeinschaftsarbeiten von den Arps, Alberto Magnelli und Sonia Delaunay. Jeweils zwei oder drei von ihnen arbeiteten nacheinander am selben Blatt. Die Gouachezeichnungen wurden erst 1950 in Paris als Lithografiemappe veröffentlicht.
Die Arps entschieden sich für die Emigration nach Amerika, es gelang ihnen aber nicht, die nötigen Dokumente zu besorgen. Kurz vor der Besetzung Südfrankreichs konnten sie in die Schweiz fliehen. Sophie Taeuber-Arp wohnte bei ihrer Schwester, Arp bei Max und Binia Bill (1904–1988). Bei einer Ausstellungseröffnung im Kunstgewerbemuseum wurde Sophie Taeuber-Arp besonders herzlich empfangen und von ihren ehemaligen Kollegen und Freunden geehrt, u. a. von Johannes Itten. Hier zeigt sich, dass sie damals in der Schweiz bekannt war und besonders geschätzt wurde.
Als Ursache ihres Todes in der Nacht vom 12. zum 13. Januar 1943 im Haus von Max Bill wird allgemein eine Kohlenmonoxidvergiftung vermutet, dennoch bleiben die Umstände weitgehend ungeklärt.
Der Verdienst Sophie Taeuber-Arps bleibt, dass sie die abstrakte geometrische Kunst in den Dadaismus eingeführt hat und dass sie diese Prinzipien und insbesondere das ihr eigene spielerische und humoristische Element in alle Bereiche der Kunst getragen hat. Marcel Duchamp (1887–1968) erkannte dieses besondere künstlerische Können von Sophie Taeuber-Arp (24).
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(1) Willy Rotzler: Konstruktive Konzepte, Zürich 1977, 1988, S. 138.
(2) Lehr- und Versuchsateliers für angewandte und freie Kunst, München. Gegründet von Hermann Obrist (1862–1927) und Wilhelm von Debschitz (1871–1948) nach Richtlinien der Wiener Schule, der Arts and Crafts Bewegung und Henry van de Velde (1863–1957).
(3) Erika Schlegel (1884–1973), später Bibliothekarin von C. G. Jung.
(4) Elsi Giauque, Textilkünstlerin in Ligerz, Lehramt an der Kunstgewerbeschule, Zürich.
(5) Max Bill, Architekt, Maler, Bildhauer, Schüler an der Kunstgewerbeschule Zürich 1924 bis 1927.
(6) Schweizerischer Werkbund, 1913 in Zürich nach deutschem Vorbild gegründet, als »Gesinnungsverband« in Anregung von Hermann Muthesius (1861–1927); Gründer Alfred Altherr (1875–1945), Direktor der Kunstgewerbeschule.
(7) Rudolf von Laban (Bratislava 1879–Weybridge 1958) Tänzer, Choreograf, Erfinder der Labannotation.
(8) Mary Wigman, Ausdruckstänzerin: »Hexentanz«. Assistentin von Rudolf von Laban, Choreografin, Tanzschule in Dresden.
(9) Wiener Werkstätte, Züricher Filiale, geleitet von Dagobert Peche (1887–1923), 1917 bis 1919. Koloman Moser (1868–1918) nannte ihn: »Jahrhundertgenie des Ornaments«.
(10) Michel Seuphor, Maler, Kunstkritiker, Schriftsteller. Mit Mondrian befreundet. Aussage in einem Gespräch mit der Autorin, Paris, 1987.
(11) Hugo Ball: Die Flucht aus der Zeit, München u. a. 1927.
(12) Sophie Taeuber-Arp, Tête Dada, 1920, Musée national d’art moderne au Centre Georges Pompidou, Paris. Vgl. Gabriele Mahn in „Les Cahiers du MNAM“, Nr. 88, 2004, S. 60–67.
(13) Sophie Taeuber-Arp, Triptychon I, II, III, 1918 (je 112 x 53 cm), Kunsthaus Zürich.
(14) Sophie Taeuber-Arp: Bemerkungen über den Unterricht im ornamentalen Entwerfen, in: Korrespondenzblatt des Schweizer Vereins der Gewerbe- und Hauswirtschaftslehrerinnen (1922), Nr. 11/12, S. 156–159.
(15) Hotel Hannong, Straßburg. Die Wandmalerei von Sophie Taeuber-Arp wurde durch einen Brand völlig zerstört. Gedenkwand im Speisesaal. Vgl. hierzu Gabriele Mahn: La contribution de Sophie Taeuber-Arp et Hans Arp à l’Aubette, in: Emmanuel Guigon, Hans van der Werf, Mariet Willinge (Hg.): L’ Aubette: ou la couleur dans l’architecture: une oeuvre de Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Théo van Doesburg, Strasbourg 2006, S. 134, 135.
(16) Vgl. Mahn 2006, S. 132–145.
(17) Theo van Doesburg, Maler, Architekt, Herausgeber der Zeitschrift »De Stijl«.
(18) Vgl. Réseau CANOPÉ, Sophie Taeuber-Arp, Baccalauréat Arts Plastiques, Gabriele Mahn u. a.: »Sophie Taeuber-Arp: transformer, renouveler«, Futuroscope 2018.
(19): Anlässlich einer Behandlung beim Straßburger Hals-Nasen-Ohrenarzt
Dr. Heimendinger erhielt Sophie Taeuber-Arp den Auftrag für eine Wandmalerei in Farbe im Eingangsbereich und Treppenhaus dessen Villa. Das sich rhythmisch wiederholende, variierte Motiv hatte sie von stilisierten Tanzfiguren mit angewinkelten Armen abgeleitet und zu einem geometrisch abstrakten Dekor entwickelt, das sich in Gouachezeichnungen von 1927/28 wiederfinden lässt.
(20) Sophie Taeuber-Arp und Blanche Gauchat: Anleitung zum Zeichenunterricht für textile Berufe, hrsg. von der Gewerbeschule der Stadt Zürich, Zürich 1927.
(21) Sophie Taeuber-Arp und Hans Arp, »Un grand et deux petits«, 1931, Sammlung Fondation Arp, Clamart. Dieses Werk wurde immer als Duo-Werk bezeichnet. In den letzten Jahren, gegen 2010, wurde Sophie Taeuber-Arps Urheberschaft ohne Erklärung entzogen.
(22) Hans Arp, Serge Brignoni, H. Schiess, Kurt Seligmann, Jacques Düblin, Kunsthalle Basel 1932.
(23) »Plastique-Plastic«, Paris-New York, Zeitschrift finanziert von A. E. Gallatin und L. K. Morris, N. Y.
(24) Marcel Duchamp: Sophie Taeuber-Arp, in: George Heard Hamilton: Katalog der Sammlung Société Anonyme, New Haven 1950.
- 1889Sophie Henriette Gertrud Taeuber wird am 19. Januar 1889 in Davos-Platz geboren.
- 1910Ausbildung in St. Gallen, München und Hamburg
- 1915Sophie Taeuber tritt dem Schweizerischen Werkbund bei, dem sie bis 1932 angehören wird.
- 19151915 lernt Sophie Taeuber Hans Arp kennen. In enger Zusammenarbeit entstehen Collagen, Plastiken und Textilentwürfe. Beide wirken im engsten Umkreis der Zürcher Dada-Bewegung.
- 19161916 nimmt Sophie Taeuber Unterricht in künstlerischem Ausdruckstanz bei Rudolf von Laban (1879-1958). Anlässlich der Dada-Soiréen im Cabaret Voltaire und der Galerie-Dada tritt sie als Tänzerin auf.
- 1916Sophie Taeuber übernimmt die Leitung der Textilklasse an der Kunstgewerbeschule in Zürich.
- 1918Sophie Taeuber tritt der Künstlervereinigung Das Neue Leben bei.
- 1921Reise nach Italien
- 1922Am 20. Oktober 1922 heiratet Sophie Taeuber Hans Arp.
- 1925Schweizer Sektion der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels in Paris
- 1926Die Arps ziehen 1926 nach Straßburg und werden französische Staatsbürger. Durch die Bekanntschaft mit den Gebrüdern Horn erhält Sophie Taeuber-Arp in Straßburg Aufträge zur innenarchitektonischen Gestaltung verschiedener Häuser, darunter der Auftrag zur Neugestaltung der Aubette. Sie bittet Hans Arp und Theo van Doesburg um ihre Mitarbeit bei diesem Großprojekt.
- 1929Die Künstlerin gibt ihre Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule in der Schweiz auf und zieht gemeinsam mit Hans Arp in das eigene Atelier- und Wohnhaus in Clamart, bei Paris.
- 1930Sophie Taeuber-Arp wird 1930 Mitglied der Künstlergruppe Cercle et Carré. Ein Jahr später tritt sie der Vereinigung Abstraction-Création bei.
- 1937Gemeinsam mit César Domela, A. E. Gallatin und L. K. Morris gründet Sophie Taeuber-Arp 1937 die internationale Kunstzeitschrift Plastique-Plastic.
- 1937Ausstellungsbeteiligungen und Künstlergruppe Allianz
- 1941Flucht nach Grasse
- 19411941 und 1942 reist das Ehepaar Arp in die Schweiz. Nachdem der Versuch einer gemeinsamen Emigration in die USA scheitert, bemüht sich das Künstlerpaar um eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz.
- 1943Sophie Taeuber-Arp stirbt am 13. Januar 1943 an einer Kohlenmonoxidvergiftung in Zürich.
Sophie Henriette Gertrud Taeuber wird am 19. Januar 1889 in Davos-Platz geboren.
Ausbildung in St. Gallen, München und Hamburg
Von 1904 bis 1907 besucht Sophie Taeuber die Stauffacher-Schule und die Zeichnungsschule des Industrie- und Gewerbemuseums in St. Gallen. 1910 beginnt sie das Studium an den Lehr- und Versuchsateliers für angewandte und freie Kunst in München, das sie 1914, nach einem Semester an der Kunstgewerbeschule in Hamburg, beendet.
Sophie Taeuber tritt dem Schweizerischen Werkbund bei, dem sie bis 1932 angehören wird.
1915 lernt Sophie Taeuber Hans Arp kennen. In enger Zusammenarbeit entstehen Collagen, Plastiken und Textilentwürfe. Beide wirken im engsten Umkreis der Zürcher Dada-Bewegung.
1916 nimmt Sophie Taeuber Unterricht in künstlerischem Ausdruckstanz bei Rudolf von Laban (1879-1958). Anlässlich der Dada-Soiréen im Cabaret Voltaire und der Galerie-Dada tritt sie als Tänzerin auf.
Sophie Taeuber übernimmt die Leitung der Textilklasse an der Kunstgewerbeschule in Zürich.
Sophie Taeuber tritt der Künstlervereinigung Das Neue Leben bei.
Reise nach Italien
1921 reist sie mit Hans Arp nach Italien. Sie besuchen Florenz, Rom und Siena.
Am 20. Oktober 1922 heiratet Sophie Taeuber Hans Arp.
Schweizer Sektion der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels in Paris
1925 wird sie zum Jurymitglied der Schweizer Sektion der Exposition Internationale des Arts Décoratifs et Industriels in Paris berufen.
Die Arps ziehen 1926 nach Straßburg und werden französische Staatsbürger. Durch die Bekanntschaft mit den Gebrüdern Horn erhält Sophie Taeuber-Arp in Straßburg Aufträge zur innenarchitektonischen Gestaltung verschiedener Häuser, darunter der Auftrag zur Neugestaltung der Aubette. Sie bittet Hans Arp und Theo van Doesburg um ihre Mitarbeit bei diesem Großprojekt.
Die Künstlerin gibt ihre Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule in der Schweiz auf und zieht gemeinsam mit Hans Arp in das eigene Atelier- und Wohnhaus in Clamart, bei Paris.
Sophie Taeuber-Arp wird 1930 Mitglied der Künstlergruppe Cercle et Carré. Ein Jahr später tritt sie der Vereinigung Abstraction-Création bei.
Gemeinsam mit César Domela, A. E. Gallatin und L. K. Morris gründet Sophie Taeuber-Arp 1937 die internationale Kunstzeitschrift Plastique-Plastic.
Ausstellungsbeteiligungen und Künstlergruppe Allianz
Während dieser Zeit nimmt Taeuber-Arp an zahlreichen Gruppenausstellungen teil. Sie ist 1935 in der Ausstellung These, Antithese, Synthese im Kunstmuseum Luzern vertreten und 1936 im Kunsthaus Zürich in der Ausstellung Zeitprobleme in der Schweizer Malerei und Plastik. Zudem nimmt sie Datum an der Konstruktivisten-Ausstellung in der Kunsthalle Basel teil. 1937 schließt sie sich der Vereinigung Schweizer Künstler »Allianz«an.
Flucht nach Grasse
1941 flieht das Ehepaar Arp vor den deutschen Besatzungstruppen aus Paris zunächst zu der befreundeten Künstlerin Gabrielle Buffet-Picabia nach Nérac. Nach einem kurzen Aufenthalt bei Peggy Guggenheim in Veyrier führt sie ihre Flucht ins südfranzösische Grasse. Dort können sie durch die Vermittlung von Susi und Alberto Magnelli im Château Folie wohnen.
1941 und 1942 reist das Ehepaar Arp in die Schweiz. Nachdem der Versuch einer gemeinsamen Emigration in die USA scheitert, bemüht sich das Künstlerpaar um eine Verlängerung der Aufenthaltsgenehmigung in der Schweiz.
Sophie Taeuber-Arp stirbt am 13. Januar 1943 an einer Kohlenmonoxidvergiftung in Zürich.